Wie MPA wie Diamanten gehandelt und dann wie Produktionsmaschinen behandelt werden.

Der Konflikt Mensch und Maschine (imago stock&people)

Ich sitze hier vor meinem Laptop, wütend und frustriert. Zum Glück noch nicht resigniert und auch noch nicht so weit niedergeschlagen, dass ich die Hoffnung schon aufgegeben habe. Als studierte Gesundheitsökonomin mit Masterabschluss habe ich gelernt, mir smarte Ziele zu setzen. Smart bedeutet konkret, spezifisch, messbar, akzeptabel und mit einem Zeitplan versehen.

Kann man eine allgemeine Hoffnung, etwas zu verbessern, in smarte Ziele umwandeln? Was nützt die Hoffnung auf Besserung, wenn sie sich diffus in den Gefühlswelten verliert?

Damals war alles anders – heute auch.

Vor mehr als 20 Jahren habe ich meine Ausbildung zur eidg. diplomierten Medizinsichen Praxisassistentin abgeschlossen. Ich habe meinen Beruf immer geliebt. Ich sah einen Sinn in meiner Arbeit. Ich habe mich gefreut, wenn ich abends erschöpft die Augen schliessen konnte und wusste: Heute haben wir gemeinsam im Team Grosses geleistet. Wir haben zusammengestanden, wir haben im grössten Stress zusammen eine Pause gemacht und wir haben herzlich über lustige Pannen und Missgeschicke im Praxisalltag gelacht. Aber wir haben auch zusammen gelernt, wie man besser zusammen arbeitet und wie man als Team zusammenhält.

Die MPA (Medizinische Praxisassistentin) war und ist ein klassischer Frauenberuf. Der Verband, der die Interessen der MPA in der Schweiz vertritt, wurde von Anfang an vom Dachverband der Schweizer Ärzteschaft dominiert. An den Lohnempfehlungen hat sich bis heute wenig geändert. Die Verantwortlichen erwarten schon bei wenigen Franken Lohnerhöhung pro Jahr einen Hofknicks, ungeachtet der realen Wirtschaftslage und des dramatischen Mangels an MPA.

Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen neidisch auf die Pflegenden. Ich habe den Eindruck, dass sie mehr Macht und die besseren Argumente haben, um sich Gehör zu verschaffen und auf Missstände in ihrem Beruf aufmerksam zu machen. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Stattdessen freuen wir uns, wenn wir uns am MPA-Kongress an einem Pharma-Stand einen Tattoo-Aufkleber anheften und unsere Goodie-Bags mit Dingen füllen können, die die Welt nicht braucht.

In der Geschichte der MPA ist keine Lobby entstanden, die stark genug gewesen wäre, den Berufsstand aus diesem autokratischen Machtgefüge herauszulösen.

Gleichzeitig ist das Jammern und Klagen über den MPA-Fachkräftemangel gross.

Tag für Tag denke ich darüber nach, ganz aus dem „Business“ auszusteigen. Würde ich lieber in einer Bäckerei feine Backwaren verkaufen? Würde ich lieber Zeit mit Menschen in einem Altersheim verbringen und mit ihnen über lustige Geschichten aus ihrer Vergangenheit lachen? Würde ich lieber sonntags auf dem Panoramaweg vor meinem Garten selbstgemachte Smoothies an die Spaziergänger verkaufen? Ja, ich würde gerne. Nicht weil ich müde bin und keine Kraft mehr habe. Nicht weil ich hoffnungslos bin oder keine Chancen und Stärken mehr in meinem Beruf sehe. Vielmehr sehne ich mich nach einer gesunden inneren Balance. Ich will gesund sein. Mental und körperlich. Und doch, wenn ich daran denke, wie glücklich ich als MPA war, dann weiss ich, dass ich weitermachen kann und will.

Im Moment bewerbe ich mich um eine Stelle als MPA. Ich erkläre meinen Gesprächspartnern und denen, die über meine Einstellung als hochqualifizierte MPA entscheiden, warum ich als Unternehmerin wieder als MPA eingestellt werden möchte. Ja, ich muss meinen vermeintlichen Rückschritt (der keiner ist) erklären und rechtfertigen.

Da ich 2025 ein Nachdiplomstudium MAS in Physician Associate Skills beginnen möchte, brauche ich wieder Erfahrung am Patienten und in den klinischen Abläufen in der Arztpraxis. Dass ich aufgrund einer Scheidung und mit zwei Kindern auch meinen Lebensunterhalt finanzieren muss, erkläre ich inzwischen ohne Scham. Mittlerweile bin ich es einfach gewohnt, die Hosen runter zu lassen. Dass ich immer ohne nennenswerte Mutterschaftspause gearbeitet habe, dass ich seit bald 7 Jahren und auch während der Corona-Krise die Firma über Wasser halten konnte, dass ich, soweit ich mich erinnern kann, keinen nennenswerten krankheitsbedingten Ausfall hatte, interessiert niemanden.

Letzten Freitag habe ich in einer Arztpraxis als MPA „geschnuppert“. Nach zwei Stunden an der Patientenannahme und einem intensiven Gespräch mit der jungen leitenden MPA habe ich die Praxis mit gemischten Gefühlen verlassen. Die Praxis gefällt mir, das Team gefällt mir, die Patienten gefallen mir.

Die zuständige Praxisassistentin erklärt mir, dass sie seit Oktober 2023 zu 100% als Praxisassistentin arbeitet, zusätzlich zu den Management- und Planungsarbeiten, die sie „nebenbei“ erledigen muss. Sie habe von Anfang an viele Überstunden gemacht.

Manchmal gehe sie nicht auf die Toilette, weil sie keine Zeit habe.

Ich überlege, ob ich laut auflachen und fragen soll, ob man nicht Windeln zur Verfügung stellen könnte, um ein paar Minuten Zeit für „wichtigere“ Aufgaben zu gewinnen. Zynismus wäre hier fehl am Platz.

Die personelle Unterbesetzung der MPA ist gravierend. 2 MPA, die 2024 ihre Ausbildung im Betrieb abschliessen, werden die Praxis verlassen. Der Nachwuchs wandert ab. Die leitende MPA hat die Berufsmatura absolviert. Eigentlich wollte sie den Beruf der MPA aufgeben und ein Studium beginnen. Sie hat aber die Aufnahmeprüfung nicht bestanden und ist deshalb geblieben.

Sie erzählt mir, dass die Betriebskultur in der Praxis und die Zusammenarbeit mit den Ärzten schwierig seien. Ausserdem müsse sie die Mitarbeitenden stark kontrollieren und vieles selbst machen, da nur sie die Kompetenz und Qualität der Arbeit nachweisen könne. Zudem sei durch die hohe Fluktuation viel Betriebswissen verloren gegangen. Sie müsse in kurzer Zeit gleichzeitig mehrere Mitarbeitende einarbeiten, um die Sprechstunde zu gewährleisten. Ein Praxishandbuch mit gesichertem Wissen gibt es nicht. Das Know-how wird hauptsächlich mündlich von Mitarbeiter zu Mitarbeiter weitergegeben.

Diese Geschichte ist wahr und kein Einzelfall. Ich habe in den letzten Jahren viele Arztpraxen gesehen. Ich habe viele verzweifelte und müde MPA und Ärzte/innen gesehen. Viele denken daran, den Beruf aufzugeben.

Vor meinem inneren Auge sehe ich die MPA wie einen Diamanten, den man sich wünscht, um ihn dann wie eine Produktionsmaschine in Betrieb zu nehmen.

Eine Produktionsmaschine, die so lange laufen muss, bis sie kaputt geht. Da die Reparatur mit krankheitsbedingten Ausfällen und Fluktuation verbunden ist, besteht die Gefahr, dass der Diamant für das Unternehmen verloren geht.

Liebe MPA- und MPK-Gemeinschaft, wir sind alle Diamanten, lasst uns für unsere Werte einstehen. Lasst uns zusammenhalten und nicht gegeneinander, nur weil der Druck uns vermeintlich abstumpfen lässt.

Ich möchte auch einen Appell an uns MPAs richten. Die kontinuierliche Verbesserung der Zusammenarbeit Hand in Hand mit den Ärztinnen und Ärzten und den Therapeutinnen und Therapeuten hilft uns, die smarten Ziele zu erreichen. Ausserdem möchte ich im Berufsalltag wieder herzlich lachen können, dazu brauchen wir unsere Kolleginnen und Kollegen. Es braucht Herz und Verstand – über alle Grenzen hinweg – damit wir gesund und nachhaltig weitermachen können.

Und noch eins – wenn du Pippi machen musst, dann geh verdammt noch mal auf die Toilette!